Auf der inneren Titelseite lesen wir: "Enthält alte und neue Gedichte des Verfassers für den Hausbedarf der Leser. Nebst einem Vorwort und einer nutzbringenden Gebrauchsanweisung samt Register. Weiter im Vorwort: "Es war seit jeher mein Bestreben, seelisch verwendbare Strophen zu schreiben. Im Widerspruch mit dem eigenen Bedürfnis enthielt ich mich regelmäßig jeder Publikation, die nichts weiter gewesen wäre als die Bekanntgabe persönlicher Stimmungen und Einsichten. " Diese lyrische Hausapotheke von Dr. Erich Kästner ist der Therapie des Privatlebens gewidmet, sie widmet sich hilfereichend gegen die kleinen und großen Schwierigkeiten der Existenz. Erich Kästner liefert die Pharmazie der Seele, der er eine Gebrauchsanweisung bzw. ein Schlagwortregister voranstellt. Wir lesen dort zum Beispiel: Man lese, … …wenn das Alter traurig stimmt: 21, 58, 62, 96, 160, 100 78, 100 93, 42 oder … wenn der Lebensüberdruss regiert: 16, 21, 39, 100 58, 100 74, 186 … wenn es Herbst geworden ist: 194 Auf Seite 194 steht das Gedicht "Herbst auf der ganzen Linie", dessen Inhalte einfach bezaubern: Nun gibt der Herbst dem Wind die Sporen.
Die bunten Laubgardinen wehen. Die Straßen ähneln Korridoren, in den Türen offen stehen. Das Jahr vergeht in Monatsraten. Es ist schon wieder fast vorbei. Und was man tut, sind selten Taten, das, was man tut, ist Tuerei. Es sind nur zwei von neun Strophen, die uns die ganze Welt im umfassenden Lebenslauf präsentieren. Einfach großartig, zum Auswendiglernen, ganz große Kunst! Ich kann sagen, die Gedichte-Arznei von Dr. Erich Kästner wirkt, ich lese täglich darin und erfreue mich der mitfühlenden, aufbauenden Gedanken. Besonders stolz bin ich, diese Ausgabe von 1936 zu besitzen, in dem einer, dessen Bücher verbrannt wurden, seinen Trost und Hilfe für andere bereit hält. Er sagte: "Das entscheidende Erlebnis war natürlich meine Beschäftigung als Kriegsteilnehmer. Wenn man 17-jährig eingezogen wird, und die halbe Klasse ist schon tot, weil bekanntlich immer zwei Jahrgänge ungefähr in einer Klasse sich überlappen, ist man noch weniger Militarist als je vorher. Und eine dieser Animositäten, eine dieser Gekränktheiten eines jungen Menschen, eine der wichtigsten, war die Wut aufs Militär, auf die Rüstung, auf die Schwerindustrie. "
Erich Kästner: "Herbst auf der ganzen Linie" - YouTube